Samstag, 14. Januar 2012

Liebe mit Vorsatz.


Gestern, in der Bahn nach Hause, beobachtete ich etwas, das mich so traurig machte, dass ich einfach nicht wegsehen konnte. Ein dickes Mädchen um die 16 und ein dicker Junge, etwa 12 Jahre alt, saßen auf der anderen Seite des Wagons und sahen so missmutig aus, als hätte ihnen gerade jemand gesagt, dass der Rest ihres Lebens eine einzige, lange Wurzelbehandlung werden würde. Und während sie schwiegen und sich mit hängenden Mundwinkeln gegenüber saßen, aßen sie. Schokolade. Und Achtung, jetzt kommt der wirklich traurige Teil: sie aßen Adventskalenderschokolade. Am 13. Januar 2012, direkt aus dem Adventskalender, ein Türchen nach dem anderen, als wäre die Vorweihnachtszeit auch nur ein Scheiß-Monat wie jeder andere. Die Schokolade war billig, das Mädchen schon beim 20. Dezember angelangt und bei dem Tempo, das sie vorlegte, würde innerhalb der nächsten Minute Heiligabend sein. Doch glänzenden Kinderaugen? Rote Bäckchen? Fehlanzeige.
Warum mich dieser Anblick so traurig machte? Ach, dicke Kinder und Billig-Schokolade. Da berichtet ja sogar RTL drüber, also sollte wirklich jeder wissen, wie katastrophal diese Mischung ist. Mindestens so katastrophal nämlich, wie die Outfits, die Frauke Ludowig immer trägt. Aber der Hauptgrund für meine Traurigkeit rührte wohl eher daher, dass das Ausweiden von Adventskalendern im Januar etwas sehr Liebloses hat. Es sind eben die Reste, das was übrig blieb, was niemand wollte. Womit wir, sorry, wieder bei den Singles wären.
Die haben harte Zeiten hinter sich, die Feiertage nämlich, das weiß auch die Werbeindustrie. Die Werbeindustrie weiß alles. Und da jetzt Januar ist, der Monat der guten Vorsätze und hochgesteckten Ziele, wird wertvolle Werbesendungszeit hauptsächlich dafür gekauft um Mittel gegen die zwei großen Makel des Menschseins anzupreisen: Übergewicht und Einsamkeit.


Ich hatte ja keine Ahnung, dass es so viele Möglichkeiten gibt, als einsames Herz im Internet das passende Gegenstück zu finden. Ein anderes einsames Herz, das dann meinetwegen Thomas heißt. „Was ich für Thomas fühle, habe ich so für noch keinen anderen Menschen gefühlt“, sagt eine ganz durchschnittliche Frau mit einem durchschnittlichen Haarschnitt und soll einem damit vermutlich das Gefühl (denn darum geht es, und nur darum: Gefühl) geben, dass man selbst, als ja auch durch und durch durchschnittlicher Mensch , extrem gute Karten hat, wenn man es mal bei einer Internetpartnerbörse versucht. Ich hingegen bleibe, auch nachdem ich den Werbespot jetzt schon mindestens zwanzig Mal gesehen habe, immer bei der Frage hängen, was genau Frau Durschnitt eigentlich für Thomas empfindet. Das kann ja alles sein. Bewunderung, Zuneigung oder der blanke Ekel. Aber egal, nicht wahr? Hauptsache einzigartig. Und das gönne ich ihr auch von ganzem Herzen, dieser Frau, die so ist, wie alle anderen.
Wie zum Beispiel die andere, die in einem ganz ähnlichen Partnerbörsenwerbespot davon erzählt, wie sie diesen Mann zum ersten Mal sah, nachdem sie sich im Internet kennengelernt hatten, und dann waren beide sehr aufgeregt, natürlich, vor dem ersten Treffen. Es ist so echt, so selbstverständlich, so durchschnittlich, es muss einfach stimmen. Kann es so einfach sein? Dann würde es doch jeder machen. Ich kenn aber niemanden.

Statistisch gesehen, machen es die meisten sowieso ganz anders. Die meisten nämlich verlieben sich im Freundes- oder Bekanntenkreis, auf dem Büroflur oder einem Rammstein-Konzert, beim Squash oder wenn die Familie bei zu Omas Achtzigstem zusammen kommt (und das obwohl der größte Teil der dort  Anwesenden aus offensichtlichen Gründen gar nicht als Partner in Frage kommen dürften…). Dann erst kommen die Leute, die die Liebe im Internet gefunden haben.  Mit wachsender Tendenz, okay, was möglicherweise weniger an der echten Erfolgsquote liegt und mehr daran, dass es sich hierbei um einen wachsenden Markt handelt. Vielleicht sind  Partnerbörsen im Internet ja die Teeküchen der Zukunft. Vielleicht sind sie auch nur eine gute Idee für Leute, die allgemein nicht oft aus dem Haus gehen und deren Mangel an sozialen Kontakten das Hauptproblem bei der Suche nach einem Partner ist. Wie dem auch immer sei, sie sind nichts mehr als eine Möglichkeit. Sie können kein Versprechen sein. Wenn es um die Liebe geht, verdanken die meisten das meiste immernoch dem Zufall.

Deshalb ärgere ich mich über die Durchschnittsfrau und ihren Thomas. Weil sie falsche Hoffnungen machen. Sie holen die einsamen Herzen da ab, wo sie am verletzlichsten sind: Nach den Feiertagen, die sie allein und ohne Silvesterkuss begehen mussten, ohne Kuscheln vorm Weihnachtsbaum, zerfressen von Sehnsucht und schwanger mit dem unbedingten Wunsch, dem ein Ende zu setzen. Und dann erzählen sie diesen Menschen, dass mit einem Knopfdruck die Einsamkeit vertrieben werden kann. Selbst wenn dem so wäre: Verlieben ist ein organischer Prozess, mit Rätseln, Umwegen und einer echten Geschichte. „Ich habe meine Daten in einen Suchfilter eingegeben und am Ende kam dein Vater dabei raus“, ist irgendwie nicht das, was ich mal meinen Kindern erzählen will. Aber wie gesagt: so einfach ist auch gar nicht. Es ist wie mit den Pillen, die man schluckt, um seine Traumfigur herzustellen: Manchmal funktioniert es, meistens nicht, und ohne zusätzlichen Sport und eine ausgewogene Ernährung kann man es sowieso gleich vergessen. Das weiß sogar Frauke Ludowig.
Überhaupt ist Druck bei der ganzen Sache ziemlich kontraproduktiv. Abnehmen, die Liebe finden, ich bezweifele, dass man sich so etwas wirklich vornehmen kann, ohne ständig an Lachsbrötchen mit Butter zu denken und sich in jedem vielversprechenden Gespräch mit einem Mann zu benehmen wie ein Idiot. Wenn man etwas will, ist das Schlechteste, was man tun kann, sich die ganze Zeit daran zu erinnern, wie sehr. Anstatt also diese Werbung mit Thomas und der Durchschnittsfrau vierzig Mal am Tag zu zeigen oder auf die Risiken und Nebenwirkungen von überteuerten, unnötigen Medikamenten hinzuweisen, sollte uns das Fernsehen alle dazu aufrufen, uns ein bisschen zu entspannen. Das würde es tun, wenn es uns wirklich helfen wollen würde. Will es aber nicht. So sieht’s aus.

Also, liebe Single-Ladies, wie werdet ihr euch entscheiden? Wollt ihr für ein paar Euro zu viel im Monat einen Account bei elite-darling-partner-love.de erstellen? Und dann im schlimmsten Fall noch Abnehm-Pillen lutschend vor dem Rechner sitzen und auf Thomas warten (der gar nicht sooo toll ist, wenn man’s genau nimmt.)? Oder schmeißt ihr den alten Adventskalender weg, zieht ein schönes Kleid an und sprecht auf Oma Ilses Geburtstag endlich mal ihren netten Krankenpfleger an? Könnte lustig werden. Ich wünsche euch ein grandioses, neues Jahr!

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